Donnerstag mit Wasserhose oder der Kunst ein poetisches Leben zu führen

“Schau” sagte x. Zeigte auf´s Meer. Dann sah auch ich es. Eine Windhose glitt über das aufgeregte Wasser.

Fauchende Gewalt.

Ich las Espedal “Gehen oder die Kunst ein wildes und poetisches Leben zu führen”, wohnte im Fass. Campingplatz. Ostsee. Herbst. Ich wollte mich gerade einrichten, da stiegen zwei an Land.

“Wir sind eure Nachbarn”, rief einer, der aus dem Boot stieg. Und: “Mein Gott, wir waren auf dem Wasser, als dieses Ding losging.”

“Glück gehabt”, sagte ich und dachte: noch einmal so jung sein. Raus aufs Meer, wie Hemingways alter Mann. Man sollte solche Wünsche nicht denken.

Ich las, während die Wellen riefen.

Es war mein letzter Urlaub mit X. Nichtsahnend ich.

Eicheln klackten wie Geschosse. Auf das Tonnendach. In der Nacht. In wenigen Tagen würde November sein.

Am nächsten Morgen gingen die Angler auf See, kehrten Mittags mit Beute zurück.

X und ich zerlegten den Fisch anhand von Youtube Videos.

Letztes Supper.

Wenig später stand nichts mehr auf dem Platz, an dem es gewesen war.

War Espedal Schuld? Das Meer? Der Wind?

Der Wind nahm die Kinder als Pfand Ich rief. Wind!, was soll ich mit der Freiheit ohne die Kinder? Sie sind das Beste was mir je passierte!

Der Wind antwortete nicht. Er antwortet nie.

X. war ins Boot gestiegen und abgelegt.

Montag mit Buchfund-Terra Australis-Neugierig bleiben

Die Kiste mit den Büchern, stand vor dem kleinen Reisebüro an der Ecke. Das Reisebüro halte ich für ein Reisebüro. Vielleicht ist es auch etwas anderes.

Nebenan ein Fotostudio mit 70ziger Dekor, Fahrräder gibt es auch, der Besitzer des Studios restauriert sie und sammelt Radios.

Es gibt Richtung Bergstrasse ein Cafe, in dem man sich (unter anderem) zum schreiben treffen kann.

Ich schweife ab. In der Kiste: Ein in rostrot gebundenes Buch.

Im Einband steht in geschwungenen Buchstaben: Jana

-Praktika an der Fachhochschule Wiesbaden vom 15.-20. Juni

Alles gut!

Viel Erfolg!

Neugierig bleiben!

Neugierig bleiben.

Diese Tage, die aus der Linie der Alltagstage herausglimmen.

Später, bekam ich ein weiteres Buch geschenkt. Eines, dass ich mir am Morgen gewünscht hatte. Die Freude war gross.

Weißt du, sagte ich zu Saskia am Telefon: ich weiß nicht ob es Gott gibt. Manchmal rede ich trotzdem mit ihm. Sicherheitshalber. Heute morgen versuchte ich ihm zu erklären, dass ich fände. er hätte nun genug vom Konto abgebucht und er könne jetzt mal bitte etwas dazu buchen. Gott hat geliefert sagt Saskia lachend.

Am Nachmittag:

Die Amazone, jene mit dem Faible für Zahlen war zu Besuch gekommen. Meisterin der Algebra. Sie führte mich durch den Dschungel.

Am Abend rief Fernanda an. Ich schnitt gerade Sellerie und Steckrüben in winzig kleine Stückchen, während ich ein Hörbuch hörte.

Ein gelungener Tag.

Montag. Der Nachbar hustet, die Tasten klappern, März steht vor der Tür. Den Sellerie koche ich mit Milch und Sahne auf, bevor ich zur Arbeit gehe. Möwengelächter über der kleinen Straße.

Sonntag mit Gedanken zum Sonntag-und Rente

Die kleine Wohnung in der kleinen Straße, mitten in der Stadt, ist an mich untervermietet. Sie ist liebevoll aus ebay Kleinanzeigen und Strassenfunden eingerichtet. Nur die Küche ist selbst gebaut-stilvoll und schön. Nahezu nichts in dieser Wohnung könnte ich mitnehmen, sollte ich eines Tages ausziehen.

Das kleine grüne Sofa, ein paar Bücher und eine Matratze gehören mir.

Ich bin Anfang fünfzig und stehe nach zweiundwanzig Jahren Familienphase, erneut am Beginn-allein.

In der Vergangenheit -Zeit des Lebens im Vorort- sind drei wunderbare junge Menschen in die Welt getreten: Die Amazone mit blondem Haar und einem Faible für Zahlen, Julius, der grafisch neue Welten erschafft und Metallica auf dem Cello spielt, Karla mit ihrem Lesehunger und der Liebe zum Klavier. Ihnen gelten meine ersten Gedanken am Morgen und die letzten vorm Schlafen gehen.

Es hat geschneit. Ich sehe es als ich mich an den Schreibtisch setze. Kurz im Blog stöbern, bevor der anstehende Lohnsteuerjahresausgleich gemacht werden möchte. Auch die Rentenversicherung will Lücken von 1986-1989 geschlossen haben. Mein Gott wo soll ich das herbekommen? DDR Reliquien. Das Chemiefaserwerk Herbert Warnke in Guben ist heute Wirkungsstätte der Körperwelten. Morbide.

Seit ich 16 Jahre alt bin arbeite ich. In der Familienphase blieb ich anderthalb Jahre zu Hause. Ein Jahr bei Anna, jeweils drei Monate bei Julius und Karla. Das Haus wollte bezahlt werden. Mich hat das Haus nie glücklich gemacht. Ein Haus macht nur glücklich (so vermute ich), wenn es einem nicht die Schlinge um den Hals legt. Finanziell gesehen.

Glücklich gemacht haben mich die Kinder (sie sind das Beste was mir in meinem Leben passiert ist und sie haben unglaubliche Paten an ihrer Seite gehabt), die Freunde, die Arbeit, die Literatur, das Reisen-als es noch möglich war.

Mir stehen nach heutigen Stand in zehn Jahren 1300 Euro Rente zu. Nach fünfzig Jahren Arbeit. Bedingungen wie im Stahlwerk -manchmal. Das System wird mich ausspucken, wie so viele andere auch. Existenzminimum. Wenn ich Glück habe, bin ich noch arbeitsfähig und verdiene mir etwas dazu.

Die Zeit ist knapp im Moment. Ich gehe auf Alexanders Blog, finde Arno Geiger und Rezensionen auf anderen Blogs zum Buch “Das glückliche Geheimnis”. Irgendwie reicht die Zeit im Moment für das Lesen nicht. Ich beschließe jedoch an einem freien Tag dieser Woche, mich in die Buchhandlung zu setzen und in das Buch zu schauen. Mitnehmen werde ich es nicht, egal wie gut es geschrieben ist, aber vielleicht kehre ich an einem anderen Tag wieder zu ihm zurück.

Möwen im Gleitflug unter himmelblauen Februarhimmel ziehen am Fenster vorbei. Im Hiroshimapark blühen Teppiche lilafarbener Krokusse.

Samstagmorgen Februar 23

Smetanas Moldau zum Aufstehen.

Das Stück, welches mich an die Begegnung 1987 in Prag denken lässt. Ein Westberliner Germanistikstudent, der mich auf den Spuren Kafkas durch Prag führte. Zwei Jahre lang erreichten mich noch kleine Bücherpäckchen mit Kafka, Hesse und Schiller.

Kälter und windiger ist es geworden. Ich suche meine Neoprengummisiefel. Yara bekommt ein Gewächshaus und braucht helfende Hände.

Es sind wunderbare Menschen in mein Leben getreten, seit Wind aufkam, der Orkan losbrach. Ich habe den Kopf über Wasser gehalten und bin geschwommen. Kopf über Wasser, das war die Maxime.

Es gab Momente, an denen ich glaubte, dass die Kraft nicht reichen würde. Ein letzter versteckter Wirbel, eher Strudel, ein Priel, eine verdeckte Trumpfkarte, spät ausgespielt – Kopf über Wasser.

Ich erreiche Festland.

Erfahrungen, auch die weniger wünschenswerten haben eines gemeinsam. Es sind Erfahrungen. Wenn das Gewebe vernarbt, – schafft es eine seltsame Unverletzbarkeit.

Freier Tag. Das Päckchen mit Büchern von Bräunig werde ich nach Kreuzberg schicken. Später eine lange Runde mit Juna am Fluss entlang gehen, Kaffer trinken, den Wocheneinkauf nach Sonderangeboten zusammenstellen. Fast ist es sportliche Faszination unter dem Limit zu bleiben.

Und sonst?: dieser Beitrag bei Geschichtenundmeer hat mich sehr berührt.

Besonders La Cantaora

Und: Ein Jahr währt dieser unsäglich barbarische Ukrainekrieg schon. Und wenn es einen Gott gibt, wo hält er sich auf?

Mittwoch mit de profundis, einer Spur Vorfrühling, am Fenster vorbeigleitenden Möwen und ersten Winterlingen

In der Luft ein Hauch Vormärz.

Die kleine Strasse erwacht zum Leben. Ich sitze am Schreibtisch. Möwen im Gleitflug ziehen am Fenster vorbei. Die ersten Minuten des Tages widmete ich Oscar Wildes de profundis.

Es stimmt, ich muss nicht verstehen.

Mein Blick schärft sich, seit ich in der kleinen Strasse wohne, für die die es an den Rand gespült hat. Wenn ich zur Frühschicht gehe, sind sie bereits wach, sitzen auf der Bank, betäuben ihr Dasein mit großen Schlucken.

Ein älterer Mann übt das Gehen seit Dezember. Ich sah seine ersten Spaziergänge. Er hielt sich alle paar Meter an der Hauswand fest. Ein eiserner Wille, so dachte ich, wenn ich ihn so gebrechlich gehen sah. Bekleidet mit einer Ballonmütze und karierten Wollschal, kurzatmig, mit geröteten Wangen.. Sie sollten ihn jetzt mal gehen sehen. Er kann mein Lächeln nicht sehen, dass ich ihm hinterschicke,

So eine Resilienz.

Ich möchte das in meiner Macht stehende tun um den Tag gelingen zu lassen. Ich möchte Menschlichkeit leben und Hoffnung. Vielleicht klingt das pathetisch. Aber so war es an diesem Morgen. Ich entscheide mich meinen Blick von Verachtung und Hass abzuwenden, die ich nie fühlte. Ich muss nicht verstehen.

Eine Spur Vorfrühling in der Luft. Möwen gleiten am Fenster vorbei.

Dienstag mit Linie des geglückten Tages

Eine Einladung von Yara auf einen Cappucino. Ich löse sie ein, besetze einen Platz im vollen Hugendubelcafe. Ein vierer Tisch. Hinter mir eine Familie, die vergeblich einen Platz sucht. ” Sie können meinen Tisch haben”, sage ich. Ich werde den Fensterplatz an der Kaffeebar nehmen.

Bestelle den xl cappucino, setze mich an den Tisch mit Barhocker und Blick auf das verregnete Hannover, lese Dana Spiotta. Ein Cappucino! ruft die Dame hinterm Kaffeeautomat. Der Familienvater den ich den Platz überliess, springt auf. Ruft quer durch das ganze Cafe: “Bleiben sie sitzen, ich bringe ihnen den Kaffee. Sie waren nett zu uns , jetzt sind wir nett zu ihnen.” Für einen Moment geniessen wir die Aufmerksamkeit der gesamten Kundschaft. Milch, Zucker? Italienischer Akzent. “Passt zum Buch”, denke ich und rufe: Zucker!

In meinem Land, sagt er, bevor er zu seiner Familie zurückkehrt.

Spiotta hingegen lässt mich ungerührt. Ein guter Plot, schrecklich flach geschrieben. Später werde ich es zurück ins Regal stellen.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/dana-spiotta-unberechenbar-buchkritik-rezension-100.html

Yara holt mich ab. “Danke, dass du mitgekommen bist.” Im Auto packt sie Proviant aus. Geruch von Schoko und Käsebrötchen. Wir hören Les tringles und Manzanilla aus Carmen, während wir uns durch Dunkelheit und Sprühregen auf den Heimweg begeben

Am Abend schickt eine Freundin mir den Prolog eines Buches, welches sie schreibt.

Linie des geglückten Tages.