“Ich weiß nicht”, sagt mein Fahrlehrer, “aber am besten fährst du, wenn du völlig übermüdet bist. Immer wenn du sagst, du hast nur drei Stunden geschlafen, läuft es wirklich gut. Im ausgeschlafenen Zustand ist dein Energieniveau zu hoch.”
Ach U. , wie lange ist das jetzt her? Acht Jahre? Nach jeder Fahrstunde brauchtest du eine Packung Kinderschokolade, zur Selbstbelohnung überlebt zu haben.
Ein Jahr etwa: dann hielt ich den Schlüssel in der Hand, um einen Teil meines Lebens zur Entfaltung zu bringen. Du musst unglaublich zugenommen haben in dieser Zeit.
Ich löse die Handbremse.
Bukarest, Budapest, Prag,
“Ich bin gerade erst losgegangen.” (Satz von Tereza Mora: nicht sterben)
Inspiriert (stimmt Klüssendorf ist genial jetzt) , begann ich ebenfalls zu suchen. Es war schon nach Zehn und ich geisterte auf Zehenspitzen im Haus herum.
Seit ich in Karlas Zimmer gezogen bin, gibt es keinen Platz mehr für meine Bücher. Auch die Bücher haben ihren festen Standort verlassen. Sie erproben neue Standorte in Koffern, Schubläden, Abseiten.
“Jahre später” von Klüssendorf wohnt in der Bettschublade. Das Buch war mir immer nah.
Angelika Klüssendorf verarbeitet in diesem Roman ihre Ehe mit dem Journalisten und Mitherausgeber der FAZ Frank Schirmmacher.
Klüssendorf ist in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Eine Prägung die auch meine Prägung ist. Schlage es auf und: lese mich selbst.
Die Zeit als die Kinder klein waren. Diese bodenlose Einsamkeit. Diese alles überlagernde Erschöpfung. Neben unseren drei Kindern lebte auch ein Pippi Langstrumpf Kind in unserem Haushalt. Eine Energie wie ein Orkan. Naturgewalt, Urkraft ungezähmt.
Nie Rückzug, nie Ruhe, nie Schlaf. Morgens zur Arbeit, da war Karla erst drei Monate alt. Ein Haus will bezahlt werden.
Und doch ist da auch: diese Liebe zu unseren Kindern. Die mich umhaute, auf die ich nicht vorbereitet war. Eine unglaubliche Intensität des Mutterglücks.
Der Schatten ist die alles verschlingende Erschöpfung.
Was damals nicht gelingt, gelingt jetzt.
Sich verpuppen, in die Dunkelheit des Zimmers entschwinden. Dem Sonnenlicht den Zutritt verwehren. Es ist meine kinderfreie Woche. Ich muss gar nichts. Ich verpuppe mich. Ruhe, Stille, Dunkelheit. Einmal gehe ich dann doch los. Um mich zu zwingen in Bewegung zu kommen. “Eingewintert” nennt Deborah Levy diesen Zustand.
Ich lasse mich treiben.
Fahrrad fahren geht nicht, spazieren gehen geht auch nicht, kaufe ein Bustickett für einen Bus der immer leer ist. Es ist egal wohin er fährt. Eine weitläufige Sitznachbarin beginnt mir ihr Leben zu erzählen. Unter der Maske. Ich bin aufmerksam. Manchmal frage ich nach: “Bitte Das habe ich jetzt nicht verstanden, sagen sie es bitte noch einmal.
Sie ist etwa so alt wie ich, wirkt lebendig.
Kiel zieht an mir vorbei. Sie erzählt wie es ist, für einen Stundenlohn von zehn Euro zu arbeiten, das die Kinder nun mit der Schule fertig sind. Das es schwer war als der Leistungssport für die Kinder einfach wegfiel, dann der 18. Geburtstag, dann die Abifeier, der Mann seinen Nebenjob verlor. Als der Leuchtturm von Friedrichsort auftaucht sagt sie: aber wir spielen jetzt jeden Abend wieder Gesellschaftsspiele. Das haben wir früher auch gemacht, als die Kinder noch klein waren und nun aus der Mottenkiste wieder rausgeholt. Und wir haben uns einen Punschkocher gekauft. Dann hören wir auf dem Balkon Schlager und trinken Glühwein.
“Das nennt man Resilienz”, sage ich und lächle ihr unter der Maske zu.
Ich habe eine Busticket gekauft, es ist eines für den ganzen Tag. Ich weiß noch nicht wohin es mich führt. Aber etwas von früher muss wieder aufgetaucht sein. Ein Stück Sichtbarkeit. Das mir Menschen ihr Leben erzählen, dass ist mir früher ab und an passiert, dann zwei Jahrzehnte nie wieder.
Ich kehre in das Familienhaus zurück und habe die erste erzählte Geschichte in meinem Netz.
Ein Wunsch der auftaucht und sich festsetzt: Ein Gesangsworkshop bei Iva Bittova in den USA. Ich wäre auch nach Jedlova gefahren, aber diese Art Workshops werden dort nicht mehr angeboten.
Fahnenappell. Graue Uniformen,graue Gesichter, trostlose Kühle. Nur Kim strahlt.
Ich trage dicke wollene rote Strumpfhosen, solche die ich als Kind gehasst habe, und falle schon allein deshalb auf. Mein Nachbar warnt mich mit Blicken und stößt mich am Ellbogen an. “Nicht aus der Reihe tanzen.” Die Strumpfhosen leuchten im Einheitsgrau. Keine Chance nicht aufzufallen.
Letzter Morgen im Försterhaus. Ich grüsse die neunzig Jahre alten Dackel bevor ich Kaminholz hole. Heute kein Feuer entscheide ich dann, sonst fällt der Abschied zu schwer.
Die Kohlmeise holt sich die gelbe Wolle.
Meine Woche mit den Kindern beginnt. Ich richte mich in Karlas ehemaligen Zimmer ein. Es ist winzig. Wo reduziere ich?
Bin froh nach dieser arbeitsreichen und schönen Woche ins Wochenende zu starten.
Fast ist diese Woche geschafft Ich bin jeden Morgen gegen 6.00 Uhr in eisiger Kälte aufgewacht, habe völlig übermüdet Feuerholz geholt, den Kamin entzündet. Erst dann gab es den Kaffee. Anderes Haus andere Rituale
Im Garten finde ich zwei Grabsteine, Beide beziffern ein Datum in den dreissigern. Moritz würde nur 6 Jahre alt, bei Wolf lässt es sich nicht mehr entziffern.
Geschlafen. Alles steht und fällt mit dieser Statusmeldung.
Wir haben eine Wohnsitzlösung gefunden. Danke an die die geholfen haben. Und danke als Wort ist hier wenig aussagekräftig für das was ich empfinde, ohne die Möglichkeit zeitweise außerhalb des Hauses zu wohnen, würde alles wohl sehr viel schwieriger sein.
Der Mandelkern im Gehirn scheint auf stumm geschaltet zu sein. Ein Gefühl von Kraft und Kälte, seltsam
Ein Rotkehlchen badet in der Vogeltränke. Ich nehme mir vor dem Rotkehlchen im ehemaligen zu Hause auch eine Tränke zu bauen.
Was mir zu Gute kommt: dass mein Herz nicht an materiellen Geschichten hängt. Zum Glück war und ist das weitgehend unbedeutend für mich. Selbst Bücher haben ihren Reiz verloren. Überlege entweder Auto oder E-Bike abzuschaffen.
Auch über die Zeit in der ich Karla in Hamburg begleitete.
X. war praktisch zwei Jahre alleinerziehend gewesen, mit Anna und Julius. Da hat er den Rücken freigehalten.. Auch bei anderen Sachen.
Ich täte trotzdem gut daran, zu einem anderen Zeitpunkt nachzudenken. Ohne Schlaf wird es langsam mühsam. So jetzt Feuer machen. Und Kaffee, Gott sei gedankt für den Kaffee
Das Feuer in Gang zu bekommen ist die erste Aufgabe des Tages. Soll es gegen 7.00 Uhr warm sein, muss ich loslegen. Das Holzscheit ist zu gross, ich Versuche es wieder und wieder. Wildgänse ziehen.
5.59. übermüdet. Warum ich seit Tagen nicht schlafen kann, entzieht sich meinem Verständnis. Ich gehe hinaus in die morgendliche Kühle Feuerholz zu holen. Die Wetter App zeigt ein Grad. Die Vögel singen trotzdem Das Haus noch in Winterstarre beginnt sich zu rekeln. Eine arbeitsreiche Woche die da vor mir liegt. Im Garten streunt eine fremde Katze Ein neuer Tag
Die Menschen die am Haus vorbeigehen halten oft einen Coffee to Go in der Hand. Wahrscheinlich holen sie sich links vom Haus den Kaffee um nach rechts zur Arbeit zur gehen.
Eine Kohlmeise baut sich ihr Nest aus bunter Wolle.
Nachdem es gestern bis in die Nacht dauerte bis ein gemeinsamer vorläufiger Plan stand, schlief ich ein. Endlich.
Tief, traumlos.
Der neue Morgen: Es gibt keine Dusche, aber warmes Wasser. Kein Survivaltraining, nur die Wärme ist ein Problem und das fehlende W-Lan Netzwerk zu dem ich keinen Zugang bekomme.
Doppelresidenz. Ich werde mich raffen müssen heute, das Nichtstun hat ein Ende. Nur noch einen Kaffee , bevor ich ins Homeoffice wechsle. Homeoffice ohne Home und W Lan, dafür mit Stille . Vermutlich wird word vorerst ausreichend sein müssen.